Blended Learning

Individualität, Praxisrelevanz, Sinn – das sind Werte, die häufig mit der Generation Y in Verbindung gebracht werden. Diese Werte sind für mich wichtig – nicht nur, weil ich Teil dieser Generation bin, sondern auch aufs Lernen bezogen: Ich will nicht strikt nach einem „Masterplan“, den es so nie für alle passend geben kann, lernen, sondern individuell, mobil, zwischendurch in kleinen Häppchen. In Austausch mit Kollegen und Coach, genau dann, wann ich es brauche.

Deshalb bin ich passionierter Verfechter des Blended Learning Ansatzes: In der Arbeit am Laptop mit einer Lernstrecke starten, das nächste Learning Nugget zu Hause auf der Couch auf dem iPad bearbeiten und wenn ich am nächsten Tag zur Arbeit fahre in der U-Bahn einen Podcast auf dem iPhone hören und eine kurze Single Choice-Frage dazu beantworten. In der Community und bei Live-Workshops freue ich mich auf den Austausch mit Kollegen und Coach. Mit den Kollegen tausche ich mich über Best Practices aus und der Coach gibt mir Feedback zu Verhalten und Lernfortschritt. Lernen – so wie es in mein Leben passt.

Diesen Wunsch nach individualisiertem Lernen habe ich auch während meiner fast dreijährigen Tätigkeit als Projektmanagerin und Konzeptionistin bei einem Sprachlernanbieter immer wieder von Lernern erfahren: Der Wunsch nach anwendungsorientiertem Lernen (Wofür mache ich das? Wo hilft mir das konkret weiter?) ist genauso vorhanden wie der nach nahtlosem Lernen (Ist diese Übung für mein iPad optimiert? Kann ich unterwegs auf dem Smartphone weiter üben? Wird mein Lernstand auf allen Geräten synchronisiert?). Gleichzeitig hörte ich von Lernern, die nur digital für sich selbst lernten, dass sie oft aufgaben und nicht über ein niedriges Kompetenzniveau hinweg kamen. Das merke ich auch bei mir selbst: So gerne ich einen individuellen Lernweg verfolge – ohne den Austausch in der Gruppe und die Unterstützung durch einen Coach komme ich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr weiter.

Entscheidend für die Entwicklung von Blended Learning Konzepten ist, dass alle Stakeholder von Anfang an eingebunden sind: Nicht ein Lehrer, der behauptet, es besser zu wissen, sondern der Lerner, steht im Zentrum. Durch ein an der Lebenswelt der Lerner orientiertes Design einer Lernstrecke und durch die Erweiterbarkeit des Systems, die ein ständiges Weiterentwickeln und Ergänzen von relevanten und aktuellen Inhalten von vornherein vorsieht, kann ich in meine Realität integriert lernen.

Es war hochspannend, bei TCJG an der Entwicklung eines solchen Blended Learning Konzepts mitzuwirken: Für ein internationales Leadership Development Programm erstellte ich als Teil des Projektteams kompetenzbasierte Curricula mit methodisch-didaktischen Empfehlungen. Dabei wurden folgende Fragestellungen eruiert: Was brauche ich als Lerner, um die Lernziele zu erreichen? Wie gliedere ich die Lerninhalte so, dass sie in den (Arbeits-)Alltag eines jeden Lerners integriert werden können? Wie berücksichtige ich unterschiedliche Vorkenntnisse und Schwerpunkte? Die übergreifende Antwort darauf ist ein modularer Aufbau, bestehend aus kleinen, abwechslungsreichen Lerneinheiten, die zusammen ein sinnvolles Gesamtbild in Form von Lernstrecken ergeben. Bei der sinnvollen Kombination gemeinsamer Präsenzphasen und digitaler Selbstlerneinheiten halfen mir mein didaktischer Studienhintergrund und praktische Erfahrung bei der Entwicklung von Lerninhalten und -umgebungen.

Die Lernstrecken bauen auf einer Qualifizierungsmatrix auf, die das Projektteam von den Kompetenzprofilen der Mitarbeiter ableitete und entwickelte. Weitere spannende Eckpunkte waren die Bedarfsanalyse vorab, die u.a. Interviews mit allen Stakeholdern beinhaltete, die Entwicklung eines Credit Point Systems und der Praxistest des Konzepts durch alle Beteiligte, die dieses in einem interaktiven Workshop erprobten. Besonderer Wert wurde auf die ständige Weiterentwicklung des Projekts und das Einarbeiten von Feedback und Learnings gelegt. Das iterative Vorgehen mit regelmäßigen Testphasen bietet hier den Vorteil, dass man nicht am Lerner vorbei, sondern mit ihm entwickelt. Dafür stehe ich als Konzeptionistin bei TCJG.

 

Ein Beitrag von einem unserer Guides

Auf die richtige Mischung kommt es an

Vielleicht kennen Sie es aus Ihrer eigenen Vergangenheit – der Lehrer steht vorne an der Tafel und führt einen ausschweifenden Monolog, während der eine Schüler längst abgeschaltet hat, der zweite nur Bahnhof versteht und der dritte bereits einen Schritt weiter denkt. Hätte Ihr Lehrer damals die Lernform Blended Learning angewandt, so wäre die Aufmerksamkeit von Schüler 1 durch kleine, relevante Learning Nuggets noch vorhanden, Schüler 2 hätte durch sinnvolle Verschlagwortung die für ihn unverständlichen Begriffe schnell gefunden, und Schüler 3 würde weiterführende Übungen in seiner individuellen Lernstrecke bearbeiten. Aus dem Lehrer vorne wäre ein begleitender Coach geworden, der beim Lernen unterstützt, die Gruppe motiviert, der zum Austausch anregt und Anwendungsfälle aktiv üben lässt.

Natürlich ist diese Situation etwas überspitzt dargestellt. Aber sie bringt die Vorteile von Blended Learning auf den Punkt.

Individuelle Lernstrecken

Doch wie lässt sich das realisieren? Und was ist das eigentlich genau, Blended Learning?

Die Wortbedeutung von „Blended“ lässt bereits auf eine „Mischung“ schließen. Sinnvoll gemischt bedeutet hier: Nicht nur digital und virtuell lernen, sondern zusätzlich dazu live und in Präsenz. Selbstbestimmt lernen, aber nicht allein gelassen, sondern in ständigem Kontakt mit Coach und Peergroup. Dahinter steckt die Lerntheorie des moderaten Konstruktivismus, die davon ausgeht, dass man am besten lernt, indem man seinen Interessen und individuellen Bedarfen folgt, einen Coach ständig zur Seite, der den Lerner begleitet und ihm zur Seite steht, ihn aber selbstbestimmt lernen lässt. Beim „moderaten“ Konstruktivismus (u.a. Roche, Jörg 2008 – Handbuch Mediendidaktik) handelt es sich um eine Weiterentwicklung der konstruktivistischen Lerntheorie. Während der Lerner bei letzterer Gefahr läuft, durch rein selbstgesteuertes Lernen überfordert zu werden und sich auf seinem Lernweg zu verirren, stellt die moderate Variante, die einen Coach in das selbstbestimmte Lernen fest inkludiert, sicher, dass der Lerner Unterstützung und Anregungen bekommt.

Digitales Selbstlernen ist in – und richtig eingesetzt für bestimmte Lernziele sicher sinnvoll, doch Studien haben immer wieder gezeigt, dass die Motivation schnell nachlassen kann, wenn man nur alleine vor dem Bildschirm des Computers sitzt oder über sein Smartphone wischt. Die motivationale Einbindung in eine Gruppe, die sich zu festen Zeiten live trifft, hilft dabei, in die Gänge zu kommen und langfristig durchzuhalten.

Reiner Wissensvermittlung, sowie individuellen Stärken und Schwächen, kann man digital gut begegnen: Adaptive Systeme analysieren den individuellen Lernbedarf und passen sich diesem an. Simulationen ermöglichen ein möglichst nahes Herankommen an die Anwendungsrealität. Aber das „Können“ trainiert sich am besten in der wirklichen Anwendung in einer authentischen Umgebung, in einer Situation, die der, in der ich meine Kompetenzen in der Realität später anwenden möchte, möglichst nahe kommt.

Dies legt auch die Idee der „70-20-10“- Regel nahe: 70 Prozent der Skills entstehen aus praktischen Erfahrungen im Job, 20 Prozent aus Interaktionen mit anderen und nur 10 Prozent aus formellen Lernsituationen.

 

Erklärung zur „70-20-10“- Regel

 

Entwicklung individueller Lernstrecken

Für die Umsetzung im Berufsalltag heißt Blended Learning konkret: Aus den Kompetenzprofilen der Mitarbeiter werden Lerninhalte abgeleitet, die in Lernstrecken individuell zusammengesetzt werden. Zur Förderung der Aufmerksamkeit und zur optimalen Einbindung in den Alltag bestehen diese aus kleinen Lerneinheiten – sogenannten Learning Nuggets – wie beispielsweise einem kurzen Video mit Fragestellung. In die Lernstrecken fest integriert sind der Austausch mit Coach und Peergroup, Live-Workshops und Praxisprojekte.

Das beste zweier Welten

Blended Learning kombiniert also das beste zweier Welten, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich, didaktisch sinnvoll kombiniert, ergänzen: die Welt des E-Learnings und die des Präsenzlernens.

Das ist beim perfekten „Blend“ eines Latte Macchiatos schließlich auch nicht anders: Ohne den Milchschaum geht gar nichts, aber der Espresso darf für den Frischekick auf keinen Fall fehlen.