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Kundenzentriert – Neudeutsch für kundenorientiert?

Der Kunde – ein König

„Ich muss dir unbedingt was erzählen! In meinem letzten Urlaub wurde ich wie ein König behandelt!“ So überrannte mich letztens ein Bekannter und erzählte mir völlig überwältigt von seinem letzten Sommerurlaub mit seiner Frau auf einer idyllischen Trauminsel in Thailand. Ich wusste, dass die beiden dort bereits vor drei Jahren ihren Honeymoon in einem exklusiven Hotel verbracht hatten und in den Sommerferien ihre wunderbaren Erinnerungen daran wiederauffrischen wollten. Er erzählte, als sie im Hotel angekommen waren, erwartete sie eine Überraschung nach der nächsten. Sie wurden zu ihrem Erstaunen vom Hotelpagen bei der Ankunft nicht nur persönlich mit ihren Namen begrüßt, sondern die Rezeptionistin informierte Sie auch gleich darüber, dass Sie im Restaurant bereits Ihren Lieblingstisch auf der Empore reserviert habe, falls Sie wünschten im Hotel zu Abend zu essen. Auf dem Zimmer fanden Sie zwei frische Fruchtsäfte mit einer Karte: „Willkommen zurück! Damit Sie sich gleich wie zuhause fühlen, haben wir Ihnen Ihre Lieblingssäfte bereits auf ihr Zimmer gebracht.“ Tatsächlich handelte es sich bei den Säften, um ihre Lieblingssäfte aus dem letzten Urlaub. Mein Bekannter war völlig begeistert, nicht nur von der entgegen gebrachten Wertschätzung, sondern auch von dem Überraschungseffekt.

Die Bedürfnisse des Kunden im Fokus der Betrachtung

In der Theorie werden solche Erlebnisse heute mit Customer Experience (CX) beschrieben. Diese wiederum ist das Ergebnis einer verstärkten „Kundenzentrierung“ (Customer Centricity). Das bedeutet der Kunde steht im Fokus der Betrachtung. Kritische Geister mögen anmerken, dass Customer Centricity doch nur eine neuartige Umschreibung des klassischen „Der Kunde ist König“-Verständnisses ist und jede Kundenorientierung begleiten sollte. Doch tatsächlich geht eine kundenzentrierte Gestaltung der Produkte und Dienstleistungen weiter als eine rein kundenorientierte. Stellt die Kundenorientierung die Zufriedenheit des Kunden in den Vordergrund, versucht die kundenzentrierte Herangehensweise das Kundenbedürfnis (also den Wunsch, der aus dem Empfinden eines Mangels herrührt) im Vorhinein zu antizipieren und die Produkte und Dienstleistungen um diese herum zu designen. Das bedeutet in der Konsequenz, dass Produkte und Dienstleistungen nicht so gedacht werden, wie sie die bestehenden Kundenwünsche bestmöglich erfüllen, sondern durch die Erfüllung der Kundenbedürfnisse einen größeren Nutzen generieren. Im Zweifel wird so sogar eine Nachfrage nach einem innovativen Produkt erzeugt, das Kunden auf den ersten Blick gesehen, gar nicht brauchen. Das Apple iPad ist dafür wohl das populärste Beispiel. Die Action Kamera GoPro wurde ursprünglich für ambitionierte Surfer entwickelt, die ihren Ritt auf der Welle festhalten wollten. Die handliche und robuste Kamera erzeugte aber darüber hinaus eine riesige Nachfrage auch weniger actionreiche Freizeitaktivitäten zu dokumentieren und in Communities zu teilen.

Amazon Gründer und CEO Jeff Bezos hat Customer Centricity als das Alleinstellungsmerkmal für das eigene Unternehmen erkannt:

„The most important single thing is to focus obsessively on the customer. Our goal is to be earth‘s most customer-centric company”.

 

Dafür testet er unterschiedliche innovative Vertriebs- und Logistiklösungen (wie die Drohnenlieferung), die die Kunden in ihrer Lebenswelt erreichen und möglichst effizient entlastensollen. An der derzeitigen Umsetzung seiner Strategie ist gut erkennbar, dass sich ein kundenzentrierter Ansatz aus der Schnittmenge der folgenden drei Dimensionen ableitet: Kundennutzen, Kundenerlebnis und Kundenlebenszyklus.

 

Stellen Sie sich die Fragen: Welchen expliziten Nutzen hat das Produkt für meinen Kunden, weniger welche Produktvorteile bietet es. Wo und wie können individuelle Kundenerlebnisse geschaffen werden? Wie verläuft der Kundenlebenszyklus bzgl. meines Produkts. Sprich: Wo liegen die Customer Touchpoints (alle möglichen Kontaktpunkte von Kunden mit einem Unternehmen)? Von dem Erstkontakt über den Geschäftsabschluss bis hin zum Nachfassen nach dem Kauf.

Beim Übereinanderlegen der Dimensionen wird klar, wie eng verzahnt das Erlebnis mit einem Kundennutzen über alle Kontaktpunkte zum Kunden ist.

 

Umsetzung eines Customer Centricity Ansatzes

Viele Unternehmen transformieren ihre Prozesse derzeit mit dem Fokus auf extensive Kundenzentrierung (siehe auch untenstehende Links). Showrooms werden radikal umstrukturiert („Audi City“ in Berlin), virtuelle 24/7 Chatmöglichkeiten (Vodafone) eingerichtet und emotionale Marketingkampagnen (TD Bank) gelauncht. Jedoch steht der Ertrag häufig nicht im Verhältnis zu teuren Initiativen. Kosten sind zwar klar identifizierbar, aber kurz- oder mittelfristige Ergebnisse lassen sich, wenn überhaupt, nur schlecht auf die Maßnahmen zurückführen. Deshalb ist es wichtig, auch hier einen transparenten Business Case vorlegen zu können.

Ein Erfolgskriterium für die Entwicklung kundenzentrierter Initiativen ist die kundennahe Erhebung der Bedürfnisse. Hier haben sich im Zuge des agilen Arbeitens innovative Methoden wie das Design Thinking bewährt, in denen die Erkundung der Lebenswelt der Kunden im Vordergrund steht. Auf Basis von Beobachtungen, Kundeninterviews und deren Ergebnissen werden in einem ersten Schritt Ideen für zielgerichtete Produkte und Dienstleistungen entwickelt. Diese werden dann in mehreren Zyklen mit den Kunden iteriert und weiterentwickelt. Das daraus resultierende Ergebnis wird dann mit Kunden getestet und das Produkt anhand der Feedbacks finalisiert.

Design Thinking als Methode um Ideen für Customer Centricity zu entwickeln

Wir nutzen Design Thinking Formate branchenübergreifend in Unternehmen sowie im Handel um Mitarbeiter in die Schuhe ihrer Kunden zu versetzen und aus ihrer Sicht die Welt zu erleben. Dafür nutzen wir zum Beispiel kundentypische Personas, aus deren Sicht die Mitarbeiter auf eine Customer Journey gehen und vergleichbare Marken und Produkte erleben. Der Kunde kann aber auch direkt zu Beginn in den Ideenentwicklungsprozess mit eingebunden werden und in Interviews und Diskussionen zu seinen Bedürfnissen befragt werden.

Immer wieder begegnet uns im Dienstleistungssektor die Herausforderung, dass ein kundenzentriertes Serviceverhalten einen Mindset Change erfordert. Es geht um wirkliches Interesse am Menschen und nicht nur am Kunden. Es geht darum den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen, um empathisches Zuhören und die Bereitschaft über einen Standardlösungskatalog hinaus zu denken und individuelle Lösungen anzubieten. Dabei ist wichtig, dass Kundenerlebnisse nicht immer einen finanziellen Mehraufwand in Form von Geschenken bedeuten müssen. Vielmehr geht es bei außergewöhnlichen Kundenerlebnissen um authentische Aufmerksamkeit, individuelle Lösungen und den Überraschungseffekt. Eines meiner Lieblingsbeispiele in dem Zusammenhang ist das Hotel Ritz Carlton. Ein kleiner Junge vergaß seine Kuscheltiergiraffe „Joshie“ im Hotel. Das Hotel schickte ihm daraufhin die Giraffe, aber nicht, ohne vorher eine Fotoreihe davon zu erstellen, wie „Joshie“ die letzten Tage im Hotel verbracht hat. Auf den Bildern war „Joshie“ zu sehen, im Spa, in den Büros, auf der Sonnenbank… (siehe Link unten)

Kurzum: Kundenzentrierung ist eine Haltung, keine Methode.

Mein Bekannter erlebte genau diese Haltung auch im Honeymoon Hotel und erzählte erst letzte Woche, dass für den nächsten Urlaub wieder ein Aufenthalt in „seinem“ Hotel fest eingeplant sei.

 

Lassen Sie sich von ein paar Beispielen zu außergewöhnlichen Kundenerlebnissen inspirieren:

#10: Ritz-Carlton Helps with Joshie’s Extended Vacation

Customer Experience bei TD Bank

Customer Centricity bei Vodafone

McKinsey zum Thema Wertschöpfung durch Customer Journeys